Zunehmend häufiger treten Fälle auf, in denen die Baubehörden eine Nutzungsuntersagung oder eine Beseitigungsverfügung erlassen. Grund hierfür sind häufig Baumaßnahmen an einem seit langer Zeit existierenden Gebäude. Die Bauherren argumentieren in diesen Fällen immer, dass sie nur Instandhaltungsarbeiten vornehmen. Hinzu komme laut Auffassung der Bauherren, dass doch Bestandsschutz bestehe, da das Gebäude so schon seit 30 Jahren steht.
Hierbei werden aber die Voraussetzungen sowie die Rechtsfolgen des Bestandsschutzes verkannt. Bestandsschutz entsteht schon gar nicht erst, wenn es für das betreffenede Gebäude nie eine Baugenehmigung gab. Nur wenn die Baubehörde die bauliche Anlage irgendwann einmal genehmigt hatte, kann überhaupt erst Bestandsschutz entstehen.
Zudem rechtfertigt Bestandsschutz nicht die Errichtung einer neuen Anlage an der Stelle der bestandsgeschützten alten Anlage (vgl. Urteil Verwaltungsgericht Augsburg vom 01.08.2019 – 5 K 19.84). Stattdessen dient er allein der Sicherung des geschaffenen bzw. bestehenden baulichen Zustandes. Ein Anspruch auf Baugenehmigung kann folglich aus dem Bestandsschutz nicht hergeleitet werden.
Was genau versteht man unter Bestandsschutz?
Der Begriff Bestandsschutz bezeichnet im Baurecht das Recht des Eigentümers, eine bauliche Anlage verbunden mit einer bestimmten Nutzung, die ursprünglich legal war oder zumindest formell durch Erteilung einer Baugenehmigung legalisiert wurde, auch dann weiter erhalten und nutzen zu können, wenn die Anlage mit dieser Form der Nutzung aufgrund einer Änderung der Rechtslage nicht mehr neu errichtet werden dürfte. Bestandsschutz bedeutet also das Geschütztsein vor bauaufsichtlichen Maßnahmen wie Nutzungsuntersagung oder gar Beseitigungsanordnung, die aufgrund der Rechtsänderung ansonsten dem Eigentümer drohen würden.
Es muss also zwingend irgendwann einmal eine Baugenehmigung für das Gebäude in der aktuellen Form erteilt worden sein. Nur dann kann überhaupt Bestandsschutz entstehen. Weit verbreitet ist der Mythos, dass es für die Frage des Bestandsschutzes einzig darauf ankäme, dass das Gebäude schon Jahrzehnte unverändert existiert. Dies ist falsch. Nur baurechtlich genehmigte Anlagen unterliegen grundsätzlich dem Bestandsschutz.
Ganz entscheidend ist folglich, dass das Gebäude jemals auf Grundlage einer Baugenehmigung errichtet wurde und seitdem keine wesentliche Änderung der baulichen Anlage erfolgte, die den Bestandsschutz nachträglich entfallen lassen.
Welche Arbeiten lassen den Bestandsschutz entfallen?
Ändert man die ursprünglich genehmigte Anlage nachträglich, so entfällt der Bestandsschutz. Die Änderungen müssen jedoch wesentlich sein und sind von bloßen Instandhaltungsarbeiten abzugrenzen. Eine Änderung der baulichen Anlage liegt vor, wenn das Bauwerk mit der ursprünglich genehmigten Anlage nicht mehr identisch ist. Ein solcher Identitätsverlust tritt ein, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand sehr intensiv ist.
Der Eingriff muss so intensiv sein, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht. Eine wesentliche Änderung liegt auch vor, wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen. Auch liegt eine Änderung der Anlage vor, wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird. Insgesamt wird man von einer Änderung der Anlage und damit vom Entfallen des Bestandsschutzes ausgehen können, wenn die Baumaßahme praktisch einer Neuerrichtung gleichkommt (VGH Bayern, Beschluss vom 07.03.2020 – 9 CS 21.3274)
Abriss und Neubau einer baulichen Anlage
Ist geplant, dass ein Teil des Gebäudes zum Zweck der Neuerrichtung abgerissen wird, so handelt es sich um ein neues Bauvorhaben. Dadurch stellt sich die Frage nach der Genehmigungsfähigkeit der geplanten neuen Anlage neu. Das Bauvorhaben ist insofern erneut genehmigungspflichtig, da mit der geplanten Beseitigung und Neuerrichtung der Bestandsschutz der ursprünglichen Anlage insgesamt entfällt. Zwar existiert eine Baugenehmigung für die Bestandsanlage, Gegenstand des Bauantrages ist jedoch ein anderes – neues – Bauvorhaben. Dieses neue Vorhaben ist aber gerade nicht identisch mit demjenigen aus der alten Baugenehmigung und daher von der Feststellungswirkung dieser alten Baugenehmigung nicht umfasst.
Bereits die komplette Erneuerung des Daches (neuer Dachstuhl und neue Dacheindeckung) ist keine Instandhaltungsmaßnahme (mehr). Denn durch den vollständigen Neuaufbau des Daches ist eine veränderte Identität verbunden (VGH Bayern, Beschluss vom 28.06.2021 – 1 ZB 19.2067). Bereits die schlichte Erneuerung des Dachstuhls macht es erforderlich, die statischen Gegebenheiten und deren Konformität mit den heutigen Anforderungen jedenfalls zu überprüfen.
Werden Außenwände, die aus Holz mit Dachpappe, Gipsplatten und Dämmmaterial bestanden, durch Mauern ersetzt, dürfte dies noch (gerade so) als Instandhaltung anzusehen sein. Im Einzelfall entscheidet jedoch das Volumen.
Reine Arbeiten an Stellen der Dachhaut, Austausch von Fenstern oder das Versetzung der Hautür dürften ebenfalls noch verfahrensfreie Instandhaltungsarbeiten sein.
Wird aber im Rahmen eines Vorhabens nicht nur die Dachhaut erneuertm die Eingangstür versetzt und insgesamt 7 Fenster ausgetauscht, sondern darüber hinaus noch sämtliche Außenwände aus Dachpappe, Gipsplatten und Dämmmaterial durch massive Mauern ersetzt, ist es das Gesamtmaß der Identitäts-Veränderung, welches die Annahme bloßer Instandhaltung verhindert (VGH Bayern, Beschluss vom 07.03.2022 – 9 CS 21.3274).
Vor diesem Hintergrund ist vor Beginn der Arbeiten gründlich zu prüfen, ob eine Baugenehmigung eingeholt werden muss. Im Baugenehmigungsverfahren ist dann zu klären, ob die geplanten Maßnahmen überhaupt baurechtlich zulässig sind. Befindet sich das Bauvorhaben beispielsweise im Außenbereich, wird man keine Baugenehmigung für Umbaumaßnahmen am Haus erhalten. Unterlässt man den Bauantrag, so kann die Behörde die Nutzungsuntersagung oder Beseitigungsanordnung erlassen, wenn sie von den nicht genehmigten Arbeiten erfährt.
Lassen bloße Instandhaltungsarbeiten den Bestandsschutz entfallen?
Von der Änderung einer Anlage, die den Bestandsschurtz entfallen lässt, sind Instandhaltungsmaßnahmen abzugrenzen. Unter Instandhaltungsabreiten sind bauliche Maßnahmen zu verstehen, die der Erhaltung der bestimmungsmäßigen Gebrauchsfähigkeit und der baulichen Substanz einer Anlage dienen, ohne deren Identität zu verändern (VGH Bayern, Beschluss vom 07.03.2022 – 9 CS 21.3274). Es sind auch solche Maßnahmen zur Erhaltung der baulichen Substanz einer Anlage, um die durch Abnutzung, Alterung oder Witterungseinflüsse entstandenen baulichen oder sonstigen Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.05.2020 – 5 S 437/18).
Man kann also einzelne Bauteile ausbessern oder austauschen, um die durch Alterung, Abnutzung oder Witterungseinflüsse entstandenen baulichen Mängel zu beseitigen. Dies allerdings nur, wenn hinsichtlich Konstruktion, Standsicherheit, Bausubstanz und äußerem Erscheinungsbild keine wesentliche Änderung erfolgt. (vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 28.06.2021 – 1 ZB 19.2067; VGH Bayern, Beschluss vom 15.04.2019 – 1 CS 19.150).
Man sollte folglich sorgfältig prüfen, ob es sich noch um Instandhaltungsarbeiten handelt oder ob sich nicht doch die Identität der Anlage ändert. Denn dann entfällt der Bestandsschutz und es ist eine Baugenehmigung für die Umbaumaßnahmen erforderlich.
Fazit
Der Bestandsschutz entsteht nur dann, wenn überhaupt einmal eine Baugenehmigung für die betreffene bauliche Anlage existierte. Ohne legalisierende Baugenehmigung kann von vornherein kein Bestandsschutz entstehen.
Der Bestandsschutz entfällt sodann nachträglich, wenn die Umbaumaßnahmen derart intensiv sind, dass die Identität der neuen Anlage von der alten abweicht. Hier ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der man sich Hilfe von einem Rechtsanwalt für Baurecht bedienen sollte.
Denn nimmt der Bauherr Umbaumaßnahmen vor, die von der Intensität her keine Instandhaltungsarbeiten mehr sind, so ist eine Baugenehmigung erforderlich. Beantragt er aber keine Baugenehmigung, dann kann die Baubehörde die Nutzung untersagen oder die Beseitigung anordnen. Dies kann für den Bauherrn sehr kostenintensiv werden.
Für Fragen rund um die Themen Instandhaltungsarbeiten und Bestandsschutz, öffentliches Baurecht, etc. stehe ich Ihnen jederzeit beratend oder vertretend mit meiner Expertise zur Seite.
Ihr Rechtsanwalt und Fachanwalt für Baurecht Markus Erler
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