Das Leistungsverweigerungsrecht im Baurecht

von | 1. Januar 2023 | privates Baurecht

Aufgrund ihrer hohen finanziellen Relevanz geraten im Baurecht das Leistungsverweigerungsrecht der am Bau beteiligten Vertragsparteien in der Anwaltspraxis zunehmend in den Fokus. Wenn davon auszugehen ist, dass der Werkunternehmer die ihm obliegenden Leistungspflichten nicht mehr erbringen kann, muss der Auftraggeber schnell reagieren können, um eigene wirtschaftliche Nachteile abzuwenden. Gleichermaßen muss dem Auftragnehmer ermöglicht werden seinerseits auf ausbleibende Zahlungen des Auftraggebers zu reagieren, um den eigenen finanziellen Schutz zu gewährleisten.

Ein Arbeitsstillstand auf der Baustelle oder eine ausbleibende Zahlung können viele Gründe haben. Ein Leistungsverweigerungsrecht liegt in einem solchen Fall nicht zwangsläufig und automatisch vor. Dieses ist erst dann anzunehmen, wenn der Leistungsschuldner eine ihm mögliche Leistung trotz Fälligkeit nicht erbringt, um eine zusätzliche Handlung des Gläubigers zu erwirken. Die Leistungsverweigerung ist dann unberechtigt, wenn sich herausstellt, dass der Gläubiger zu der von ihm erwarteten Verhaltensweise nicht verpflichtet ist. 

Leistungsverweigerungsrecht bei Krise des Werkunternehmers – Reaktionsmöglichkeiten des Bestellers 

Szenario „Teilkonfrontation“

Liegen Mängel der bislang erbrachten Leistung des Auftragnehmers vor, kann der Auftraggeber gestützt auf § 320 Abs. 1 BGB die Erfüllung von Abschlagsforderungen des Auftragnehmers verweigern, wenn ihm ein fälliger (Nach-)Erfüllungsanspruch auf Mangelbeseitigung zusteht. § 320 BGB ist die sog. Einrede des nichterfüllten Vertrages. Wurde die VOB/B im Bauvertrag vereinbart, ist ein solcher Anspruch anders als beim BGB-Vertrag bereits vor Abnahme zu jedem Zeitpunkt fällig, vgl. § 4 Nr. 7 S. 1 VOB/B. Wegen sonstiger nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehender Ansprüche aus dem Bauvertrag kann der Auftraggeber die ihm obliegende Leistung nach § 273 Abs. 1 BGB verweigern.

Das Leistungsverweigerungsrecht des Auftraggebers wird durch § 641 Abs. 3 BGB näher ausgestaltet und ist auf alle Konstellationen der Fälligkeit des Vergütungsanspruchs ausgedehnt. Das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 641 Abs. 3 BGB gilt über § 632a Abs. 1 S. 4 BGB auch bei Abschlagszahlungen. Hiernach kann der Besteller die Zahlung eines angemessenen Teils der Vergütung verweigern, wenn ihm ein Mangelbeseitigungsanspruch zusteht. Als angemessen gilt in der Regel das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten. Maßgebend für die Festsetzung ist insbesondere, wie schwer der Besteller durch den Mangel belastet wird. Wird der Anspruch auf Nacherfüllung erfüllt, erlischt das Leistungsverweigerungsrecht und der Einbehalt ist einzuzahlen. . 

Szenario „Totalkonfrontation“ 

Möchte sich der Auftraggeber gänzlich von seinem Vertragspartner lösen, steht ihm die Möglichkeit einer „Totalkonfrontation“ durch außerordentliche Kündigung zur Verfügung. Ausgehend von der unveränderten Gesetzeslage kann sich der Auftraggeber nur unter erschwerten Voraussetzungen vom Vertrag aus wichtigem Grund lösen. Die dogmatischen Lösungswege zur Begründung der außerordentlichen Vertragsbeendigung sind streitig. Der Auftraggeber kann einen Untergang des Leistungsanspruchs nach Maßgabe des § 281 Abs. 4 BGB herbeiführen, indem er bei Vorliegen eines Mangels gem. § 281 Abs. 1, Abs. 4 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Vielfach wird darüber hinaus befürwortet, dem Auftraggeber, obgleich es sich bei dem Bauvertrag regelmäßig nicht um ein Dauerschuldverhältnis handelt, ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 BGB bzw. entsprechend § 649 BGB einzuräumen. Andere Stimmen befürworten anstelle einer außerordentlichen Kündigung den (Teil-)Rücktritt gem. § 323 Abs. 1, Abs. 5 S. 2 BGB vom Vertrag hinsichtlich des noch nicht erbrachten Teilwerks. In jedem Fall ist bei nicht ordnungsgemäßer Leistungserbringung des Auftragnehmers die Fälligkeit seiner Leistungspflicht vorausgesetzt (vgl. §§ 281 Abs. 1 S. 1, 314 Abs. 2 S. 1, 323 Abs 1 S. 1 BGB). Wurde auf die Vereinbarung der VOB/B verzichtet, ergeben sich für den Auftraggeber erhebliche Unsicherheiten, weil anders als bei einem VOB/B-Bauvertrag die Pflicht zur ordnungsgemäßen Leistung vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen erst zum Zeitpunkt der vereinbarten Gesamtfertigstellung fällig wird. Da sich der Fälligkeitstermin durch nicht absehbare Faktoren verlängern kann (Nachträge, verzögerte Kettenlieferungen etc.), gereicht die Einbeziehung der VOB/B in den Vertrag dem Auftraggeber zum Vorteil. 

Wurde die VOB/B in den Vertrag einbezogen, kann eine außerordentliche Beendigung wesentlich flexibler und rechtssicherer vollzogen werden. Unter den Voraussetzungen der §§ 8 Nr. 3 Abs. 1, 4 Nr. 7 VOB/B kann der Vertrag durch außerordentliche Kündigung insgesamt beendet werden. Hierzu muss der Auftraggeber dem Auftragnehmer bei Vorliegen eines Mangels eine angemessene Frist zur Beseitigung setzen und zusätzlich ankündigen, ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag zu entziehen. Eine Kündigung vor Fristablauf scheidet grundsätzlich aus, es sei denn es steht objektiv fest, dass die angemessene Frist durch den Auftragnehmer nicht eingehalten werden kann. Über das Kündigungsrecht der §§ 8 Nr. 3 Abs. 1, 4 Nr. 7 VOB/B hinaus kann der Auftraggeber bei Vorliegen einer der Verzögerungstatbestände des § 5 Nr. 4 VOB/B und der weiteren sich aus §§ 5 Nr. 4, 8 Nr 3 VOB/B ergebenden Voraussetzungen oder bei Vorliegen einer der Fallvarianten des § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B (Zahlungseinstellung, Insolvenzantrag, Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, Ablehnung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse) außerordentlich kündigen. 

Leistungsverweigerungsrecht des Auftragnehmers 

Wurde zwischen den Parteien die VOB/B vereinbart, ist der Auftragnehmer (u.a.) nach § 16 Nr. 5 Abs. 3 VOB/B berechtigt die Leistung zu verweigern, wenn der Auftraggeber trotz Ablaufs einer vom Auftragnehmer gesetzten Nachfrist fällige Zahlungen nicht leistet.

Gem. § 650f Abs. 1 BGB kann der Auftragnehmer von dem Auftraggeber Sicherheit für die vereinbarte und noch nicht gezahlte Vergütung einschließlich dazugehöriger Nebenforderungen verlangen, die sich nach dem voraussichtlichen Vergütungsanspruch einschließlich eines vorher oder zeitlich erteilten Zusatzauftrags sowie einer Pauschale von 10 % zur Deckung der Nebenkosten. Zur Erfüllung seines Sicherungsverlangens muss der Auftragnehmer dem Auftragnehmer eine angemessene Frist setzen. Wird diese zu knapp bemessen, beginnt eine angemessene Frist zu laufen. Hat der Auftragnehmer dem Auftragnehmer erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung der Sicherheit nach Abs. 1 der Vorschrift gesetzt, steht dem Auftragnehmer gem. § 650f Abs. 5 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht oder alternativ Kündigungsrecht zu. Im Falle einer Kündigung ist der Auftragnehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen. Hierbei muss er sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Anwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt. Das Leistungsverweigerungsrecht kann nicht durch Parteivereinbarung ausgeschlossen werden, vgl. § 650f Abs. 7 BGB. Wenn dem Arbeitnehmer Kosten entstehen, weil er seine Leistung berechtigterweise zurückhält kann er diese nach § 280 BGB ersetzt verlangen.

Im Einzelfall kann die Leistung auch dann verweigert werden, wenn dem Auftragnehmer die Fortführung der Arbeiten bei objektiver Betrachtung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unzumutbar wäre. Dies ist etwa dann der Fall, wenn durch den Auftraggeber beigebrachte außergewöhnliche Pflichtverletzungen für den Auftragnehmer enorme Risiken bedeuten. Sind sich die Parteien lediglich über Vertragsinhalte nicht einig, ist der Auftragnehmer bei Einbeziehung der VOB/B in den Vertrag nach § 18 Abs. 2 bis Abs. 3 VOB/B nicht zur Einstellung der Arbeiten berechtigt. Erfolgt in einem solchen Fall entgegen der gesetzlichen Bestimmung eine Baueinstellung, gehen die Rechte auf den Auftraggeber über (z.B. Entziehung des Auftrags mit Bezug auf § 8 Abs. 3 VOB/B), wenn nach Maßgabe des § 5 Abs. 4 VOB/B Verzug der Vollendung eintritt. 

Fazit

Im Falle einer wirtschaftlichen Krise des Auftragnehmers müssen dem Auftraggeber Handlungsmöglichkeiten gereicht werden, um effektiv auf den Arbeitsausfall reagieren und Leistungsverweigerungsrechte geltend machen zu können. Die Vereinbarung der VOB/B ist insofern für den Auftraggeber von Vorteil, da er wegen bereits vor dem Fertigstellungstermin die Beseitigung entstandener Mängel verlangen und wegen nicht fristgemäßer Mangelbeseitigung oder Bauverzögerung außerordentlich kündigen kann. Die VOB/B bedeutet für den Auftraggeber allerdings insofern einen Nachteil, als dem Auftragnehmer vor Abnahme ein effektiv durchsetzbarer Anspruch auf Abschlagszahlung zusteht. Gleichermaßen spielt die Vereinbarung der VOB/B auch für den Arbeitnehmer eine entscheidende Rolle, kann er seine Rechte schließlich vielfach auf die Vorschriften der VOB/B stützen. Um im Falle von Leistungsverzögerungen oder gar Leistungsausfällen rechtlich bestmöglich abgesichert zu sein, sollte darauf geachtet werden, sachgerechte Vorschriften der VOB/B in den Bauvertrag zu integrieren, im Übrigen aber die Gesetzeslage zur Grundlage des Vertrags zu machen. 

Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Gesetzeslage für beide Parteien des Bauvertrages Leistungsverweigerungsrechte bereithält. So ist der Gläubiger der jeweiligen Leistung (Vergütung oder Werkleistung) geschützt, um nicht ungeschützt vollständig in Vorleistung gehen zu müssen.

Bei Fragen rund um die Themen Leistungsverweigerungsrecht im Baurecht und alle sonstigen Themen rund um den Bauvertrag berate ich Sie gern.

Ihr Rechtsanwalt und Fachanwalt für Baurecht Markus Erler

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